(Süddeutsche Zeitung vom 7.3.2001 Es war ein geradezu überwältigendes Panorama, gebadet in kristallklarem Licht und erfüllt von etwas ungemein friedlich, zeitlos, ätherisch Wirkenden, das sich den vielen Besuchern von Bamian anbot. Von einer natürlichen, etwa 40 m über der Talsohle liegende Terrasse, auf der das Bamian-Hotel und ein großes Zeltlager aus Jurten standen, blickte man nach Norden auf ein breites, W-O verlaufendes Hochtal (Höhe 2500 m). Es ist begrenzt von einer langgestreckten Felswand aus braunrotem Konglomeratgestein, überhöht dahinter durch die auftürmenden Berge einer hohen Gebirgskette. Und man sah, etwa 400 m voneinander entfernt in Nischen stehend, zwei riesige Darstellungen Buddhas, aus jener Felswand geschlagen und mit einer dicken Lehmschicht fertigmodelliert. Zwar gesichts- und armlos, weil längst mutwillig entstellt, aber grandios standen die beiden Buddhas da, der Buddha Dipankara, der Buddha des vorangegangen Weltenalters, zur Linken und der historische Buddha Shakyamuni zur Rechten. Mit ihrer Höhe von 55 m und 38 m übertrafen sie alle weltweit bekannten menschlichen Darstellungen, und sie erstaunten auch durch ihre Präsenz in einem dünn besiedelten Hochtal inmitten der zentralen, menschenleeren afghanischen Gebirgswelt. Man sah, es waren, es gab - es gibt die beiden Buddha-Statuen nicht mehr, denn sie werden gegenwärtig von den Taliban im Namen Allahs zerstört: am 26.2. 2001 befahl der Mullah Omar, ein kleiner Dorfgeistlicher, der zum Emir des Gottesstaates Afghanistan aufgestiegen ist, alle figürlichen Darstellungen im Land zu vernichten. Dabei geht es in Bamian nicht nur um die zwei Riesenstatuen, sondern um eine ehemalige buddhistische Klosteranlage, von der außer den beiden Figuren noch viele Kultstätten in Höhlen seitlich der beiden Nischen existieren. Von der einst reichen Ausmalung war noch einiges erhalten, wie vor allem die Gemälde hoch oben in den beiden riesigen Nischen und in kleineren Höhlentempeln, von wo aus einst sitzende Buddhafiguren nach Süden das Tal überschauten. Ursprünglich war es eine große Anlage. Als der berühmte chinesische Pilger Xuanzang (Hiuen-tsang), unterwegs zu den heiligen Stätten des Buddhismus in Indien, um das Jahr 632 durch Bamian kam, war er sehr beeindruckt. "Ihre goldene Oberfläche funkelt auf jeder Seite, und ihr wertvoller Schmuck blendet mit ihrem Glanz die Augen." So beschreibt er in seinem Reisebericht den "großen Buddha". Man erfährt auch, daß zwischen den beiden Buddhas es ein großes Kloster mit einer riesigen Darstellung des liegenden, ins Nirvana eingehenden Buddha (Mahaparinirvana) existiert habe. Xuanzangs Angaben sind die einzigen in schriftlicher Form erhaltenen, die sich aus jener Zeit auf Bamian beziehen, und weitere Quellen sind so spärlich, daß man über die politische Situation jener Zeit kaum etwas weiß. Es handelt sich hier vor allem um das 6. und 7. Jahrhundert n. Chr. Es war die Zeit der größten Blüte des Handelsverkehrs und der Kultur entlang der "Seidenstraße", die bekanntlich in erster Linie den Mittelmeerraum mit China, in zweiter Linie auch jene beiden Kulturbereiche mit Indien verband. Über Bamian ging der wichtigste Verbindungweg zwischen Indien und den Handelszentren in Zentralasien (vor allem Samarkand). Es muß große Einnahmen aus Maut und frommen Spenden gegeben haben, um den Bau eines derartigen Klosters zu ermöglichen. Auftraggeber waren lokale Herrscher, die auf einem Hügel inmitten des Tales residierten. Man weiß freilich nur ganz allgemein von einem damals existierenden Königreich Bamian. Bamian drückte wie kaum ein anderer Ort den Triumph des Buddhismus aus, nachdem er sich in den ersten Jahrhunderten n.Chr. auch im Nordwesten des indischen Subkontinents, im heutigen Nordpakistan und Ostafghanistan, machtvoll etabliert hatte. Von dort aus fand dann die so erfolgreiche Missionierung Zentralasiens und Chinas statt. Mit den Erfolgen wuchs überall die Größe der Darstellungen ins Riesenhafte, wie etwa in den Klosteranlagen von Yungang und Longmen in China, bis man alles mit den beiden Figuren in Bamian, im äußersten Westen des damaligen buddhistschen Bereichs, noch übertraf. Wollte man etwa mit diesen gigantischen Darstellungen Buddhas als Weltenherrscher, Tschakravartin, nur den Völkern im eigenen Königsreich imponieren, oder auch den Völkern im Westen, vor allem im Iran, wo es einen ausgeprägten Herrscherkult gab? Wahrscheinlich war es ein mit buddhistischen Initiationsriten und iranischen Investiturvorstellungen verbundener Herrscherkult, der zur Schaffung vor allem des "kleinen Buddha" führte. Die schwer verständlichen Wandgemälde über dem Kopf des "kleinen Buddha" können als einschlägige Hinweise dienen. Im Zenit der Nische flog ein Gott (Sonnengott?) auf einem goldenen Triumphwagen, gezogen von vier geflügelten Pferden, durch die Lüfte. Im Unterschied dazu zeigten die Wandgemälde in der Nische des Buddha Dipankara ein ganz buddhistisches, von Paradiesszenen beherrschtes Bild. Nach dem endgültigen Einbruch des Islams im 10. Jahrhundert wurde auch Bamian irgendwann ein Opfer fanatischer Bilderstürmer. Die reiche plastische Ausstattung war das erste Opfer und, wo immer leicht erreichbar, wurden auch die Wandgemälde zerkratzt. Die Köpfe der beiden Kolossalfiguren verloren ihre Gesichter, und vermutlich unter dem Moghul-Kaiser Aurangzeb versuchte man sogar, durch Kanonenschüsse auf die Beine des "großen Buddha" die ganze Figur zum Einsturz zu bringen. So kam ein bereits weitgehend zerstörtes Bamian in unsere Zeit, aber die beiden großen Buddhas standen immer noch fest in ihren Nischen und "schauten" gesichtslos über das breite Tal nach Süden. In den 1930er Jahren sicherten französische Archäologen die westliche Wand der kleineren Nische durch einen mächtigen Strebepfeiler. Im Juli 1969 übernahm der Archaeological Survey of India die riesige Aufgabe, die beiden Figuren und "ihre" Wandgemälde zu konservieren. Neun Jahre arbeiteten die Inder jeden Sommer lang, bis im September 1977 der Abschluß erfolgte. Der Strebepfeiler des kleinen Buddha war "kaschiert" worden, und Bamian schien gefestigt einer besseren Zukunft entgegen zu gehen. Sieben Monate später erfolgte der kommunistische Staatsstreich, der die afghanische Tragödie einleitete. Bamian wurde ein wichtiger Stützpunkt der Regierungstruppen, bis die lokalen Mudschaheddin, mongolstämmige Hazara, die Nachfolge antraten. Die buddhistischen Anlagen hatten den Krieg gut überstanden. Im Juli 1998 wurde mit Schweizer Unterstützung die Drainage oberhalb der beiden Nischen instand gesetzt. Die Welt in Bamian war eigentlich noch in Ordnung. Sie brach zusammen, als am 13.9.1998 die rigid ikonoklastischen Taliban einrückten. Bald darauf beschoß man den "kleinen Buddha", den man wegen seiner feminin wirkenden "Geschlechtslosigkeit" als Frau einstufte. Man nahm deshalb auch besonders das weibliche "Geschlecht" aufs Korn. Höher oben erregte der Kopf Anstoß, obwohl ja längst keine Gesichtszüge mehr zu sehen waren, und er wurde abgesprengt. Dabei gingen auch alle Wandgemälde in der Nische verloren. Der "Sonnengott" im goldenen, von einer geflügelten Quadriga gezogenen Prunkwagen flog davon. Beim "großen Buddha" war man zum Glück weniger erfolgreich. Dann wurde der übereifrige Kommandant zurückgepfiffen. Der "große Buddha" schien gerettet. In Kabul war inzwischen die Registrierung eines Teils der Reste der einstigen großartigen Sammlung des Museums Kabul erfolgt. Man schöpfte wieder Hoffnung, daß die Taliban vom Bilderstürmen Abstand nehmen und sich für die Bewahrung des hochkarätigen, aber schrecklich reduzierten Kulturguts Afghanistans interessieren und einsetzen könnten. Am 27.2.2001 kam die schreckliche Ernüchtigung, wurde das Schicksal Bamians und aller anderen bildhaften und somit gotteslästerlichen Darstellungen durch ein striktes religiöses Edikt (Fatwa) des in Kandahar fast schon versteckt lebenden Emirs von Afghanistan besiegelt. Der weltweite Aufschrei erbrachte nichts. Die Sache sei eine innere Angelegenheit Afghanistans. Nicht der Schutz von vorislamischem Weltkulturerbe, sondern dessen weitgehende Zerstörung sei im Namen Allahs vorzunehmen. Diesem fanatischen, aber keineswegs allgemeinen orthodox-islamischen Auftrag gemäß wurde bereits durch die Jahrhunderte eine große Zahl von Kulturdenkmälern vernichtet. Gegenwärtig verlieren wir zusätzlich ganz "auftragsgemäß" das ganz einmalige, großartige, aber leider eben "blasphemische" Weltkulturerbe Bamian.
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